Alles Extra Vergine ?

Im Jahre 1970 empfiehlt mir mein Berufsberater, Olivenbauer zu werden. Also mache ich an der Universität von Siena den „Master of Olive Oil“ und werde ein berühmter Olivenbauer.

Nun, mit Ausnahme, dass ich tatsächlich eigenes Olivenöl produziere,  ist der Wahrheitsgehalt dieser Aussage Null und es handelt sich somit grösstenteils um eine Lüge. Nicht so bei den alten Griechen, die vor rund 2700 Jahren den Olivenbaum nach Süditalien bringen. Die kennen in diesen Zeiten nicht einmal ein Wort für Lüge. Der Grieche hat als Äusserung des menschlichen Egoismus das Recht zur Unwahrheit, versieht diese aber vielfach mit einem Eid. Es wird geschworen, was das Zeug hält, die Eide aber meistens gebrochen. Graeca fides ist bei den Römern ein geflügeltes Wort für Wortbrüchigkeit. Erreicht das Gesagte oder das Tun und Handeln aber eine gewisse Bedeutung, kommt die Flussgöttin Styx ins Spiel. Sie wurde von Zeus als Göttin des Eides bestimmt. Wer auf sie schwört und den Schwur bricht, muss 9 Jahre schweigen. Die Griechen bringen also nicht nur die Olivenbäume nach Italien, sondern auch ihre Götter, ihr Denken, ihre ganze Kultur eben.

Mit der Romanisierung und Christianisierung nimmt die Toleranz gegenüber der Unwahrheit  rasant ab. Die Römer als gute Juristen grenzen schon bald die Schadenslüge von den harmloseren Arten ab und die Christen beziehen sich auf das Alte Testament, wo das achte der zehn Gebote den Gläubigern salopp mit „Du sollst nicht Lügen“ vermittelt wird. Interessant ist,  dass nur dem gewöhnlichen Bürger das Lügen abtrainiert werden soll. In der Nähe der Macht, ob wirtschaftliche, geistliche oder politische Macht, wird weitergelogen, Ehrlichkeit spielt dort keine Rolle. Machiavelli (1469-1527) meint, dass die Herrschenden mit ihren Lügen zwar gegen die individuelle Moral verstossen, damit aber der Machterhaltung dienen. Der ehemalige EU-Chef Juncker sagt trocken: „Wenn’s draufankommt, muss man lügen.“

Wie sieht es nun aber in der Olivenölbranche aus, gibt es da Lug und Trug? Bei den Olivenbauern und den lokalen Ölmühlen wird meines Erachtens ehrlich gearbeitet, was aber nichts über die Qualität des Öls aussagt.  Die Herstellung eines Öls in Extra Vergine – Qualität ist sehr arbeitsintensiv und die hohen Ausgaben werden von den Marktpreisen bei Weitem nicht gedeckt. Für ein Extravergine Öl müssen die Oliven vor ihrer gänzlichen Reife direkt vom Baum gepflückt werden. Die erzielbaren Marktpreise decken nicht mal diese Erntekosten. Also macht der lokale Olivenbauer in der kurzen „Extra Vergine – Erntezeit“, (zweite Oktoberhälfte), erstmals gar nichts und so ist es in den Ölmühlen noch sehr ruhig. Gemahlen werden lediglich die Oliven, welche die Ölmühle für ihr eigenes Öl abfüllt (Olio del Frantoio) oder die Oliven von kleineren Produzenten wie etwa DeMarundia. Nach den Tutti i Santi (Allerheiligen), anfangs November, endet die Extra-Vergine – Zeit und die Oliven fallen von selbst von den Bäumen. Die Qualität ist zuerst noch ansprechend (vergine) und das daraus gewonnene Öl wird von den Bauern für den Eigenbedarf bezogen. Dann wird die Qualität immer schlechter und bald die Stufe „nicht für den Verzehr geeignet“ erreicht. Die Bauern haben jetzt mit dem Zusammenrechen der Oliven ordentlich zu tun und die Mühlen arbeiten rund um die Uhr auf Hochtouren.

Dieses Jahr dauerte die Produktionszeit bis tief in den März hinein. Die Ölmühle zahlt den Bauern für dieses minderwertige Öl einen minderwertigen Preis und verkauft es an Händler weiter, die es mit grossen Tanklastern abholen lassen. Qualität ist nicht gefragt. Die erzielbare Marge ist bei schlechtem Öl viel besser, da es ja zu Extra Vergine Öl raffiniert wird. Apulien produziert mit 939 Mühlen rund 40 % des italienischen Olivenöls, wobei das meiste Öl durch die Raffinerien geschleust wird.

Wie steht es jetzt aber mit dem Wahrheitsgehalt meiner Aussagen? An den Haaren herbeigezogen sind sie nicht. Wir produzieren seit 20 Jahren Olivenöl  in Apulien und kennen die lokalen Produktionsverhältnisse. Postfaktisch sind die Aussagen auch nicht. Dieses Wort beschreibt Aussagen, die auf Gefühlen und weniger auf Tatsachen beruhen und wurde 2016 von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) als Wort des Jahres gewählt. Meine Aussagen würde ich eher als Indizien bezeichnen. Diese bestehen gemäss Aristoteles aus wahrnehmbaren Sachverhalten, von denen mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die Wahrheit anderer Sachverhalte geschlossen werden kann. Der Indizienprozess wäre gegen die behördliche und industrielle Macht zu führen und somit aussichtslos.

 

Fakt ist:

Die Behörden geben vor,  wie ein Extra Vergine Öl beschaffen sein muss und wie die Flaschen und Kanister beschriftet sein müssen.

Die Lebensmittelindustrie beachtet diese Vorgaben. Die behördliche Lebensmittelkontrolle überprüft deren Befolgung und bestraft allfällige Zuwiderhandlung. Jährlich werden Strafen von einigen Tausend Euros verhängt.

Alles Extra vergine!

  Bei der Styx??