Der Mensch ist oft oder hie und da oder meist unzufrieden mit dem, was er hat. Wie Hans im Schneckenloch, der nicht will, was er hat und nicht hat, was er will. So sehnt sich der Mensch seit Urzeiten nach einer besseren Welt. Im Angebot sind u.a. das himmlische Paradies, die politische Utopie und das Schlaraffenland. Der Aufenthalt im Paradies ist zu Lebzeiten nicht möglich, für Utopia braucht man die richtige politische Einstellung und der Aufenthalt im Schlaraffenland macht dick. Bleibt da noch Arkadien.
Arkadien / Name und Charakter
Der Name stammt von einer Landschaft im Innern des Peloponnes. Aus dieser isolierten geographischen Lage erklären sich auch gewisse Charakterzüge Arkadiens. Ein archaisches Gebiet, bewohnt von Hirten, wird zum Sehnsuchtsbild der Kunst und Dichtung, Ausgangspunkt eines Mythos.
Arkadien wird zum Inbegriff eines idyllischen Daseins. Es entspricht dem alten Traum vom einfachen Leben im Einklang mit der Natur. Musse, Frieden und Liebe sind unabdingbare Bestandteile. Der Mensch braucht sich nicht den Niederungen des Existenzkampfs auszusetzen, denn die freundliche Natur versorgt ihn mit allem Notwendigen. Im Gegensatz zu den anderen Gegenwelten kennt Arkadien keine zeitliche und örtliche Bestimmung. Es kann immer und überall sein.
Arkadien in der Literatur
Angefangen mit der bukolischen Poesie, also mit den Hirtengedichten, hat 270 v.Chr. Theokrit. Er stützte sich dabei vorwiegend auf sizilianische Volksgesänge und war dann seinerseits wiederum Vorbild für die Hirtendichtungen des römischen Dichters Vergil (70-19 v.Chr.). Inspiriert wurde dieser auch vom aus Arkadien stammenden Historikers Polybios (70-19 v.Chr.), der unermüdlich von seiner Heimat schwärmte. Vergil versetzte das vonTheokrit idealisierte sizilianische Bauerntum nach Arkadien. Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. folgt der Roman Daphnis und Chloe des griechischen Schriftstellers Longus von dem Goethe schwärmte und schrieb, man tue wohl, es alle Jahre einmal zu lesen. Im Mittelalter trat Arkadien gegenüber den religiösen Paradiesen und den biblischen Hirtengeschichten dann etwas in den Hintergrund. Dies war wohl auch der Inquisition geschuldet. Mit der Hinwendung zur Antike wird Arkadien in der Renaissance wiederentdeckt. Massgebend dafür ist der Hirtenroman «Arcadia» des neapolitanischen Dichters Jacopo Sannazaros 1458-1530). Unbeschadet ist Arkadien aber nicht durchs Mittelalter gekommen. So lässt denn Sannazaro die Arkadier um den Verlust des Goldenen Zeitalters trauern, in dem nicht nur das Leben besser war, sondern vollkommene Liebesfreiheit herrschte, und die Menschen dies in aller Unschuld genossen. Da dieses lustvolle Wunschbild der herrschenden moralischen Norm widersprach, musste es in die Vergangenheit um toleriert zu werden. Auch im Hirtenspiel «Aminta» von Torquato Tasso (1544-1595) stimmen die Hirten ein Loblied auf die goldene Zeit an, deren Glück auf Freiheit beruhte, da der Grundsatz galt: «erlaubt ist, was gefällt».
Das war Anarchie pur. Anarchie ist zwar gewaltlos, aber das war nun Sprengstoff. Das lief jeder kirchlichen und weltlichen Doktrin zuwider, und konnte nicht unwiedersprochen bleiben. Giambattista Guarini (1538-1612) hielt in seinem «Pastor fido» mit «Es soll gefallen, was erlaubt ist» dagegen. Er reduziert die arkadischen Hirten auf tugendhafte, treue und langweilige Geschöpfe. Damit spaltet sich Arkadien in zwei unterschiedliche Wunschwelten. In der einen herrscht das Liebes-, in der anderen das Tugendideal. Dieser Konflikt inspirierte auch Goethe. In seinem Werk «Torquato Tasso» lässt er die Prinzessin von Este zwar sagen, «erlaubt ist, was sich ziemt» unterstützt andererseits mit den folgenden Worten, die er Tasso in den Mund legt, die anarchistische Seite:
„Einen Herrn / Erkenn ich nur, den Herrn, der mich ernährt, / Dem folg ich gern, sonst will ich keinen Meister. / Frei will ich sein im Denken und im Dichten! / Im Handeln schränkt die Welt genug uns ein.“
Nicht zuletzt dank Goethe wurde Arkadien wieder mit Italien assoziiert. In Rom trat er dem Club der Arkadier bei und sein Reisebericht «Italienische Reise» wollte er anfänglich unter dem Titel «Et in Arcadia ego» veröffentlichen.
«Et in Arcadia ego»
Die Phrase taucht erstmals auf einem Mauerstück in einem Gemälde von Guercino (1591-1666) auf. Auf der Mauer liegt ein Totenschädel als Memento-Mori-Motiv. «Bedenke, dass du sterblich bist und dass auch ich, der Tod in Arcadien bin», will uns das Bild mitteilen. Auf späteren Bildern sind diese Motive nicht mehr zu sehen. Allmählich wird aus dem «ich bin in Arkadien», ein «ich war in Arkadien» und das Ich bezieht sich nicht mehr auf den Tod, sondern auf die in Ich-Form erzählende oder schreibende Person. Vor Ort oder wieder zu Hause schrieb man über das Erlebte, malte ein Bild oder komponierte eine Melodie. Ich bin oder war wo es schön ist. «Et in Arcadia ego».